Das spirituelle Potential des Staunens
Auch er staunte
Zunächst denke ich mir, Gott staunt nicht. Für ihn gibt es keine Wunder, für ihn gibt es nichts Unerklärliches, nichts Überraschendes.
Und tatsächlich, in den gesamten Schriften des Alten Testaments der Bibel gibt es keinen Hinweis auf ein Staunen Gottes, zumindest wir kennen keinen Hinweis.
Wer allerdings Jesus von Nazareth als den Sohn Gottes versteht, der kann zwei berichtete Ausnahmen im Neuen Testament finden. Jesus staunt über den Glauben eines römischen Hauptmanns und über den Unglauben der Bewohner seiner Heimatstadt Nazareth.
Mt 8. 5-10: Als er nach Kafarnaum kam, trat ein Hauptmann an ihn heran und bat ihn: Herr, mein Diener liegt gelähmt zu Hause und hat große Schmerzen. Jesus sagte zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Da antwortete der Hauptmann: Herr, ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst; sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund. Auch ich muss Befehlen gehorchen und ich habe selber Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh!, so geht er, und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es. Jesus war erstaunt, als er das hörte, und sagte zu denen, die ihm nachfolgten: Amen, das sage ich euch: Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden.
Markus 6.1-6: Von dort brach Jesus auf und kam in seine Heimatstadt; seine Jünger begleiteten ihn. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte (staunte) sich über ihren Unglauben. Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte.
Hat Jesus hier wirklich gestaunt?
Das hier verwendete griechische Wort (ek-)thaumazo bedeutet sich verwundern (wie es für beide Bibelstellen in den meisten Übersetzungen verwendet wird), staunen, bewundern.
Der deutsche Begriff staunen beinhaltet in seiner sprachgeschichtlichen Wurzel ein kurzes sprachloses Erstarren (Innehalten), welches dem Bewundern oder Sich Verwundern vorausgehen kann, aber nicht muss.
Ob Jesus in beiden Situationen ein erstauntes „Oh!“ entfahren ist oder er kurzfristig sprachlos war, wissen wir nicht, aber beide Situationen waren sicher (auch für ihn) außergewöhnlich.
Was war hier der Fall?
Beide Male staunte Jesus über Menschen, die sich in einer konträren Weise extrem verhalten haben, sodass sein Staunen wohl einmal ein bewunderndes Staunen, das andere Mal eher ein entsetztes Staunen war.
Der Hauptmann, kein Jude, erwartet von Jesus bisher Außergewöhnliches. Jesus könne sofort aus der Distanz ein Heilungswunder vollbringen.
In der zweiten Situation geschieht das Gegenteil: Die, die es eigentlich wissen sollte, die Jesus umfassend kannten, die Bürger von Nazareth, vertrauten ihm am wenigsten.
Was schließen uns diese beiden Geschichten auf? Wie sehr sich Jesus Glauben, sprich Vertrauen, wünscht!
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